Das beste ist, mal genau zu sortieren, was wie wichtig ist. Gerade Frauen neigen dazu, in allem perfekt sein zu wollen, aber bei Männern kommt das auch vor. Wenn man sich aber angewöhnt, sich beim Planen genau zu fragen, ob einem dieses oder jenes wirklich wichtig ist, so wichtig, daß es die Mühe wert ist, fällt schon mal das eine oder andere heraus, was man nur so aus Gewohnheit macht, ohne daß es wirklich noch Sinn macht.
Das gilt für Arbeit und Privatleben. Ich meine immer, im privaten Bereich kann man den Streß am leichtesten vermeiden, weil man da die Planung doch komplett selber in der Hand hat. Hobbys sind wichtig, dafür muß man auch gewisse Zeit einplanen. Aber das sollte im Rahmen bleiben. Man muß sich dabei überlegen, ob man wirklich Wettkämpfe machen muß, die doch mit all den Vorbereitungen sehr aufwendig sind, ob es wirklich nötig ist, die gewohnte Fernsehserie weiter zu verfolgen (ist auch sehr stressig, wenn man immer gucken muß, daß man die Folge nicht verpaßt), ob man nicht mal den Kontakt mit Leuten einschränkt, die eigentlich nerven, etc. Ich kann Freude haben an einem Spaziergang, aber ich muß deswegen doch nicht gleich zum Champion im Nordic Walking werden oder so. Mut zur Lücke läßt dem Streß keine Chance.
Viel Zeit geht drauf für Tätigkeiten, die eigentlich mehr Statussymbol als Nutzen und Freude sind. Mein Auto wasche ich selten, es stört mich nicht, wenn es nicht so glänzt wie das vom Nachbarn, der seins sage und schreibe zwei Mal die Woche wäscht (Wasserverschwendung!). Wenn ich im Garten eine Distel sehe, lasse ich sie stehen, bis sie groß genug ist, sie an den Esel oder die Pferde zu verfüttern. Das macht Spaß, sofort mit der Hacke hinter jedem Mini-Distelchen her zu sein ist dagegen Streß. Ich mache mir auch überhaupt keinen Streß damit, unbedingt am Samstag Abend ausgehen zu müssen. Lieber sitze ich mit Strickzeug, Tieren und Buch zu Hause, auch wenn weite Teile der Bevölkerung das für schrecklich uncool halten würden. Als ich noch verheiratet war, hatte ich so einen Fetenkasper, der es mit sich selber nicht aushielt und ständig Action und Fun kaufen mußte. Das hat mich regelrecht krank gemacht, ich hatte dauernd Hörstürze und andere Streßkrankheiten. Seit der weg ist, habe ich schlagartig nichts mehr von den Leiden gehabt. Mal rausgehen, wenn es einen Anlaß gibt, ist ja ganz nett, aber dieses MÜSSEN, weil da einer Angst hat, er könnte was verpassen, das ist doch kein Vergnügen mehr. Urlaub kann auch zu Hause schön und vor allem gemütlich sein, Füße hochlegen, Buch lesen, tun, was man will. Muß man wirklich eine Fernreise machen, um davon prahlen zu können? Die Leute kommen doch manchmal auf dem Zahnfleisch heimgekrochen, völlig kaputt, lassen sich erst mal krank schreiben. Und die Fotos von XY vor allen möglichen Gebäuden am Ende der Welt will doch dann auch keiner sehen.
Viel Streß will mir die liebe Familie einreden, indem sie von mir ständig unsinnige Dinge verlangen wollen. Samstags den Hof kehren? Wenn es nötig ist, kehre ich den, auch mal am Dienstag, nicht aber auf Biegen und Brechen am Samstag. An Feiertagen brauche ich auch nicht die bürgerlichen Festmähler, für die ich stundenlang in der Küche stehen müßte und die in wenigen Minuten verschlungen sind. Bei mir gibts an Feiertagen die selben Gerichte wie sonst auch. Die Festmähler sind ja doch bloß Statussymbol und das brauche ich nicht. Ich weigere mich, im Garten Golfrasen und eine perfekte Hecke zu haben, weil ich beides nicht pflegen will. Rasenmähen und Heckenschneiden ist mir zuwider. So habe ich eine Obstwiese und eine Reihe Beerensträucher. Viel lebendiger und nützlicher, und die verhaßten Arbeiten fallen nicht an. Ich habe weder Rasenmäher noch Heckenschere.
Streß scheint heute so modern zu sein, daß man ihn sich überall selber macht. Fast jeder hat ein Handy, um jederzeit für jeden Hans und Franz erreichbar zu sein. Ist doch Streß pur. Wenn mich einer anruft, will der was von mir. Ich aber gerade nicht von ihm, sonst hätte ich ja meinerseits angerufen. Manchmal lege ich den Hörer daneben, wenn ich Ruhe haben will. Ein Handy will ich bestimmt nicht haben. Hat keinen Nutzen für mich, hätte höchstens Nutzen für andere, die mich dann jederzeit vollsabbeln und zu irgendwelchen Gefälligkeiten verdonnern können. Nee, ich nehme mir manchmal ganz frech das Recht, nicht erreichbar zu sein. Wenn ich eine Ausstellung angucke, will ich mich auf die Bilder da konzentrieren und nicht das Neueste von irgend einem seinen Hämorrhoiden hören.
Wenn man dem Streß entgehen will, muß man schon manchmal Mut aufbringen, gegen den Strom zu schwimmen. Ich habe nie nennenswerten Weihnachtsstreß, obwohl ich tonnenweise Plätzchen backe und sogar zwei Bäume aufstelle und die meisten Geschenke selber stricke, sticke, häkele usw. und somit weit mehr mache als andere. Ich schreibe eben keine Weihnachtskarten an Leute, die mir wurscht sind. Das spare ich dann wieder ein. Ich habe kein TV, so daß ich meinen Abend ganz frei gestalten kann, nicht die Zeit von der Sabbelkiste aufgefressen wird. Wenn ich mal früh ins Bett gehe, denke ich nicht, daß ich einen wichtigen Film verpassen würde. Wen ich dann mal mit einer Freundin zu einer gezielt ausgesuchten Veranstaltung gehe, kann ich das viel besser genießen als einer, der dauernd wahllos die Abtion abklappert. Der Genuß einer guten Veranstaltung bringt einem dann wesentlich mehr, als jeden Abend etwas eher Gleichförmiges erlebt zu haben.
Wenn man in diese Weise seinen Weg gefunden hat, auch wenn der von dem üblichen abweicht, reduziert sich der Streß schon von selber. Bei jeder Entscheidung, was ich tue, ob ich was kaufen soll oder was unternehmen, frage ich mich: Wird das mein Leben verbessern? Wenn ja, so viel, daß es den Aufwand wert ist? Erst dann, wenn auch die zweite Antwort ein Ja ist, wird die Sache in Angriff genommen. Sonst hat es keinen Zweck, macht nicht glücklich. So brauche ich keine Rolex, die verbessert mein Leben nicht. Die Uhrzeit kann ich genausogut von einer billigen Uhr ablesen. Ein Juwelier hat nichts in seinem Laden, was ich kaufen würde, selbst wenn ich das Geld dazu hätte.
Es kostet aber am Anfang auch Kraft, wenn man sich immer wieder rechtfertigen muß, warum man dieses und jenes nicht so macht wie alle anderen. Aber auf die Dauer zahlt es sich aus. Man kann es den anderen sowieso nie allen recht machen, also macht man es sich besser selber recht und läßt die anderen außen vor.
Das Erstaunliche ist dann ja, daß man in seiner eigenen Art eher akzeptiert wird als einer, der sich immer mit aller Gewalt der Masse anpaßt und jede eigene Idee unterdrückt, nur um nicht aufzufallen.