Auszug aus spiegelonline:
Alle sagen es, niemand spricht darüber: Fuck. Fünf Jahre lang hat ein US-Juraprofessor die Macht des Worts erforscht - heimlich. Dann wollte kein Verlag seine Studie drucken, doch im Web wurde "Fuck" der Aufsatz des Sommers - und kommt nun endlich in eine Fachzeitschrift.
Nur eine digitale Vorabfassung hat Fairman eigenhändig ins Netz gestellt - wo sie seit März für Rekord-Downloads sorgt. Die PDF- Fassung auf dem Preprint- Server des Social Science Research Network (SSRN) katapultierte Fairman aus dem Stand heraus auf den siebten Platz unter den 1500 meistgelesenen Jura-Autoren bei SSRN. In der Top Ten des Digitalverlegers Berkeley Electronic Press steht der Aufsatz bis heute unangefochten auf Platz eins. Die Titel der übrigen Abhandlungen sind zwar bis zu 34-mal länger, doch kein Aufsatz wurde seit seiner Veröffentlichung häufiger heruntergeladen als Fairmans 74-seitige Studie.
"Es gab Kollegen, die mir nahegelegt haben, den Titel abzuschwächen oder ihn durch einen Euphemismus wie 'F*ck' oder 'F-Wort' zu ersetzen", sagte Fairman zu SPIEGEL ONLINE. Tatsächlich hatte der Karrierejurist - früher Lehrer, dann Assistent bei Gericht, schließlich Anwalt für öffentliches Recht, Abschlüsse mit höchster Auszeichnung, Gastlehrer in Oxford und preisgekrönt für seine Lehre - lange gezögert. Die Angst, in den USA zwischen die Fronten von politischer Korrektheit und Bigotterie zu geraten, ist nicht ganz abwegig. Erst als er über die Sicherheit einer unkündbaren Anstellung am renommierten Moritz College of Law der Ohio State University verfügte, traute er sich.
Der Auslöser für das alles war ein Bewertungsbogen gewesen. Im Herbst 2001, am Semesterende seines zweiten Jahres als Juradozent, hatte sich ein Student verstört über Fairman gezeigt: Der Dozent habe im Seminar das F-Wort benutzt. Hatte er auch, allerdings als er aus einer Urteilsbegründung zitierte. Wie konnte ein erwachsener Mensch sich darüber nur aufregen? Fairman wurde bei der Wirkung von Fuck hellhörig - und fand Fälle zuhauf.
Die Geschichte des bewussten Wortes ist nebulös: Ein englisches und ein schottisches Gedicht aus dem späten 15. und frühen 16. Jahrhundert werden als erste Fundstellen in der englischen Schriftsprache gehandelt. Einige Wissenschaftler beziehen Fuck auf das germanische Wort für klopfen, das verwandt ist mit dem Altniederländischen "ficken" und dem Mittelhochdeutschen "vicken". Ebenso werden italienische, französische und keltische Wurzeln diskutiert.
Für Rechtsgelehrte besonders interessant dürfte indes ein möglicher Ursprung im Altägyptischen sein, von dem Fairman berichtet. Zur Zeit der letzten Dynastien des Nilreichs seien juristische Schriftstücke mit einer expliziten Verwünschung besiegelt worden: "Wer dies missachtet, soll von einem Esel gefickt werden." Als Hieroglyphe für diesen drastischen Umstand hätten zwei gekreuzte Phalli gedient.
Doch ist das Wort Fuck tatsächlich die immergleiche Heraufbeschwörung des Körperlichen, eine Dauervergegenwärtigung der Kopulation? Nein, sagt Fairman und zitiert das Standardwerk "The F-Word" von Jesse Sheidlower, der hauptberuflich das Oxford English Dictionary zusammenstellt. Er hat Hunderte von Verwendungen und Varianten des F*** (so steht es auf dem Buchcover) gesammelt - die wenigsten mit direkter sexueller Konnotation. "Aus der Linguistik wissen wir, dass es für Fuck viele Bedeutungen und Verwendungen gibt, und die meisten haben nichts mit Geschlechtsverkehr zu tun", resümiert Fairman.
Erst übereifrige Gesetzgebung verleiht Fuck seine Macht
Dennoch bereite es einen gewissen Nervenkitzel, das Wort auszusprechen. Das gelte für jene, die es möglichst meiden, ebenso wie für jene, die es häufig benutzen. Die reflexhafte Reaktion auf das Wort Fuck - die sich letztlich auch in der inkonsistenten, übertriebenen Gesetzeslage ausdrücke - müsse mit einem kulturellen Tabu erklärt werden. Fairmans Analyse zeigt, wie der Umgang mit Fuck bis heute mit Sanktionen belegt wird - ein typisches Merkmal eines Tabus.
Auch wer das Wort gezielt einsetze, um zu beleidigen, zu provozieren, um Aufmerksamkeit zu erregen, der verhalte sich noch entsprechend. Psycholinguisten sprechen hier vom invertierten Tabu. Dieses Verhalten kann aber nicht ohne Strafandrohung bestehen. "Das Tabu wird erst durch das Gesetz institutionalisiert, und gleichzeitig gibt es Spannungen mit anderen Rechtsgütern", sagt Fairman. Ironisch: Erst die unverhältnismäßige Reaktion des US-Gesetzgebers macht Fuck zu dem, was es heute ist.
Ebenso wurde "Fuck" erst durch die Berührungsängste der Fachzeitschriften zu dem, was es heute ist - dem interessantesten ungedruckten academic paper des Sommers. Jura-Blogger verbreiteten Fairmans Geschichte flugs, bald wurden auch Mainstream-Blogs wie BoingBoing darauf aufmerksam. Schließlich schaffte sie den Sprung in die etablierten Medien - wenngleich nur außerhalb seiner Heimat. "Traurigerweise haben sich die US-Medien nicht mit dem Artikel auseinandergesetzt", sagte Fairman. "Vielleicht aus Furcht, sich dem Thema der Selbstzensur stellen zu müssen - denn das ist ja der Kern meiner Hypothese."
Quelle: spiegelonline
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MfG
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