Früher sei es in Qaqortoq praktisch nie gesichtet worden. "Jetzt aber tauen die einst ganzjährig zugefrorenen Fjorde oben in Ostgrönland auf, und die Strömung schickt uns das Eis vor die Bucht."
Dann zeigt Høegh stolz die Blütenpracht in seinem Garten. "Eine spezielle Sorte aus Nepal", sagt der Agronom und zeigt auf die Kartoffeln. Wenn er bei der Ernte welche vergesse, finde er sie im nächsten Jahr unversehrt vor. "Der Boden friert heutzutage nicht mehr so tief", sagt Høegh.
Besonders aber liegen ihm die Bäume am Herzen, und das versteht jeder, der die karge Landschaft im Süden Grönlands kennt. Die ersten hat Høegh vor ein paar Jahren, gleich nach dem Bau des Hauses, gepflanzt. Inzwischen reichen sie ihm bis zur Haarspitze und haben damit bereits die Höhe erreicht, bis zu der noch vor kurzem die spärlichen Krüppelbäumchen auf Grönland heranwuchsen.
"Aber in den nächsten Jahren wird sich unser Stadtbild umgekrempelt haben", verkündet Høegh und blickt auf die farbigen Holzhäuser, die sich an den nackten Fels schmiegen. In seiner Vorstellung sollen bald Birken, Eschen und Pappeln das Panorama zieren. Samen aus Kanada, Nordeuropa und Island sind bereits eingeweht. "Bald werden die Bäume haushoch sein."
In einer landwirtschaftlichen Versuchsanstalt auf der anderen Seite des Fjords studieren Forscher das Leben der Nutzpflanzen am biologischen Limit. Dort gedeiht - unter weißen Plastikplanen - der erste Brokkoli Grönlands. Sorgsam muss er vor Nachtfrost geschützt werden, der sich noch bis Mitte Juni auf das Land legen kann.
"Die Wachstumsperiode ist mittlerweile so lang wie in den Alpen auf 1500 Metern", rechnet Høegh vor. Anfang Mai gehe es los. Noch zwei Wochen früher, und es könnten Äpfel und Erdbeeren gedeihen.
Für Grönland bedeute die Ernte auf heimischem Acker nicht nur mehr wirtschaftliche Selbständigkeit. Høegh geht es auch um die Gesundheit der gut 57.000 Grönländer. Die seien zunehmend von rohem Walfleisch und Robbenblut auf Limonade, Kekse und Schokoriegel umgestiegen. "Das süße Zeug kostet eben viel weniger als teuer importiertes Obst und Gemüse", schimpft der vierfache Vater.
Mit seinen roten Haaren und der kräftigen Figur hat er etwas Wikingerhaftes, doch auch "mindestens 16 Prozent grönländisches Blut" fließt durch seine Adern, wie er betont. Vielleicht ist das der Grund für seinen Patriotismus. Die dänische Regierung habe den Grönländern einst einen Bärendienst erwiesen, etwa als sie die Insel mit billigem Milchpulver überschüttete. Frische Milch hingegen kostet im Supermarkt derzeit mehr als fünf Euro.
Høegh will das ändern. Bisher allerdings weiden auf der 2650 Kilometer langen Insel nicht mehr als 19 Kühe. "Jede davon hat einen Namen", fügt Høegh schmunzelnd hinzu. Allein 9 sind im Besitz von Sofus Frederiksen, einem athletischen Inuit mit kantigem Gesicht und einer Fahrweise, die sich nur dadurch erklärt, dass es auf Grönland keine Geschwindigkeitsüberwachung gibt.
Der 42-Jährige prescht mit seinem Landrover die staubige Steinpiste von seinem Haus das Tal entlang, wo er gerade ein kleines Wasserkraftwerk für sein Gehöft baut. "Das Ding muss zum Wintereinbruch stehen", sagt er. Bis dahin streunen seine Rinder allein über die Berghänge.
Im Winter sieht die Ernährungslage anders aus. Nur der günstigen Hanglage verdankt es Frederiksen, dass er seine Tiere satt kriegt. Weil seine Felder im Talkessel nach Süden gehen, gedeiht dort nicht nur Gras, sondern auch Roggen. "Der schafft es zwar nicht bis zur Frucht, eignet sich aber hervorragend als Futter", sagt der Viehhalter. Außerdem bestehe Hoffnung, dass mildere Temperaturen schon bald zwei Heuernten pro Jahr zuließen.
Vielleicht hat dann Südgrönland bald wieder etwas zurück von seinem alten Charakter. Damals, vor nunmehr über tausend Jahren, hatten Wikinger den Südwestzipfel der Eisinsel besiedelt.
"Grönland", grünes Land, habe er vorgefunden, berichtete Erik der Rote nach seiner Erkundungsfahrt und lockte so Siedler auf 25 Schiffen zur Emigration. Sein Werbeslogan war durchaus berechtigt: Bei Ausgrabungen fanden die Archäologen reichlich Spuren von rustikalen Rind- und Schafsfleischgelagen. Erik der Rote besaß Stallungen, in denen bis zu hundert Rinder standen.
Große Teile der Nordhalbkugel genossen damals eine Periode ungewöhnlich milden Wetters, verursacht möglicherweise durch veränderte Strömungen des Atlantiks. Doch das Witterungsglück der Siedler war von begrenzter Dauer.
Im 14. Jahrhundert, das zeigen Klimarekonstruktionen aus Eisbohrkernen, stürzten die Temperaturen ziemlich abrupt. Die kleine Eiszeit folgte und machte wohl auch den Wikingern auf Grönland den Garaus. Ihre letzte überlieferte Aufzeichnung kündet von einer Hochzeit am 16. September 1408 in der Kirche von Hvalsøy. Heute erinnern nur noch ihre Grundmauern an das Landleben der Wikinger.
Inzwischen jedoch ist die Milde des frühen Mittelalters zurückgekehrt, die Temperaturen sind sogar wärmer als zu Eriks Zeiten. "Wo wir jetzt stehen, war noch vor wenigen Jahren Eis", sagt Stefan Magnusson und blickt auf seinem Pferd sitzend auf den rauschenden Bach, der aus dem Gletscher vor ihm heraussprudelt.
Schon sprießen die ersten Pflanzen auf den schlammigen Rückständen der Moräne. "Was wir hier erleben, ist eine Genesis", sagt Magnusson mit Pathos in der Stimme. Der Gletscher, ein Ausläufer des unermesslichen Inlandeises, liegt wie der Rücken eines Reptils zwischen den Felswänden. Seine schmutzigweißen Schuppen glänzen in der Sonne.
Fast hundert Meter habe sich das Eis zurückgezogen, seit er vor gut zehn Jahren mit der Rentierzucht begann. "Jeder Meter mehr bedeutet mehr Weideland für meine Tiere", sagt Magnusson, "und jeder Tag mehr auf grüner Wiese bedeutet ein halbes Pfund mehr auf den Rippen meiner Tiere."
Das Areal, auf dem er die Rentiere züchtet, misst 1500 Quadratkilometer. In einem Monat wird er beginnen, vom Helikopter aus seine 1700 Tiere in die Gehege vor seinem Schlachthaus zu treiben. Das ganze Jahr über leben sie völlig autark. Nur im Frühling muss er sich immer häufiger Sorgen um seine Paarhufer machen. "Plötzlich beginnt es hier im Februar oder März zu regnen", berichtet Magnusson. Für die Tiere ist das fatal, denn der Niederschlag gefriert alsbald wieder, und an das Gras unter der Eiskruste kommen sie nicht heran. "Wir können ihnen dann noch nicht einmal Futter mit dem Schneemobil bringen", sagt der Viehzüchter, "auf den eisigen Felsen kämen wir überhaupt nicht voran."
Vorerst weiß er deshalb nicht recht, ob er den Klimawandel nun preisen oder beklagen soll. Vielleicht wird sich das allerdings bald ändern, denn der tauende Eispanzer könnte auf seinen Ländereien einen Schatz ganz anderer Art freilegen: Diesen Winter wird Magnusson wieder, zusammen mit Experten einer australischen Bergbaufirma, zum Gletscher hinausfahren. Erste Gesteinsproben aus dem vergangenen Jahr haben einen hohen Gehalt an Vanadium aufgewiesen.
Jetzt hofft Magnusson auf das große Minengeschäft. Denn, so sagt er, mit dem Metall werden harte Stähle etwa für Kugellager geschmiedet. "Deshalb braucht die Welt das Vanadium gerade wie verrückt."
Quelle: spiegelonline
MfG
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